Fristlose Kündigung wegen Diebstahl einer geringwertigen Sache - Kümdigung wegen fehlender Abmahnung unwirksam

Vor jeder Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist zu prüfen, ob den Interessen des Arbeitgebers durch eine Abmahnung ausreichend Rechnung getragen werden kann. Sie ist mit konstitutiv für den Kündigungsgrund. Fehlt die Abmahnung, ist die Kündigung unwirksam. Im Fall einer Kündigung wegen Störungen im Vertrauensbereich ist eine Abmahnung ausnahmsweise nur dann entbehrlich, wenn ein vertragskonformes Verhalten des Arbeitnehmers nicht mehr zu erreichen ist oder das erforderliche Vertrauen unwiederbringlich verloren ist. Nach dem erstmaligen Diebstahl einer Eistüte im Wert von 1 Euro durch eine Verkaufsangestellte einer Tankstelle ist hier eine Abmahnung erforderlich gewesen. So entschied das Arbeitsgericht Hamburg (Aktenzeichen: 21 Ca 425/02).

Angeblicher Diebstahl führt zur Kündigung

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung. Die 1980 geborene Klägerin stellt der Beklagten seit dem 17.7.2001 Ihre Arbeitskraft im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses zur Verfügung. Die Beklagte setzt die Klägerin als Servicekraft in ihren bundesweit 23 Tankstellen ein.  Im Verkaufsraum der Tankstelle ... sind mehrere Videokameras installiert. 

Die Beklagte behauptet, dass die Klägerin am 21.18.2002 um 19:36 aus der im Verkaufsraum der Tankstelle aufgestellten Eistruhe ein Eis der Marke "Manhattan Crispy" genommen und verzehrt habe. Die Klägerin habe die Warenentnahme nicht verbucht und nicht bezahlt. Der Verkaufspreis des Eises habe € 1,-- betragen. Der Vorgang sei am 22.8.2002 entdeckt worden, als der Leiter der Tankstelle routinemäßig die Videoaufzeichnungen des Vortages kontrollierte. 

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die deswegen ausgesprochene fristlose Kündigung wirksam sei. Die Beklagte würde immer kündigen, wenn ein Arbeitnehmer eine Unterschlagung begangen habe. Dies sei der Klägerin auch bekannt. Eine Kontrolle der Arbeitnehmer sei nicht möglich. Die Beklagte müsse sich auf ihre Arbeitnehmer verlassen können. Das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers sei erschüttert und nicht wieder herstellbar. Denn die Beklagte habe mehrfach darauf hingewiesen, wie bei privaten Käufen zu verfahren sei. Eine Abmahnung sei unter diesen Umständen nicht erforderlich gewesen. 

Die Klägerin erfuhr erstmals im Gütetermin vom 25.9.2002 von dem ihr gemachten Vorwurf. Sie bestreitet, das Eis nicht bezahlt zu haben. 

Arbeitsgericht gab Klägerin Recht - Kündigung unwirksam

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. 

Den zunächst im Arbeitsrecht benötigten Kündigungsgrund spricht das Gesetz einer Kündigung  dann zu, wenn sie durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Hiervon kommt nach dem Vorbringen der Beklagten nur die so genannte verhaltensbedingte ündigung in Betracht. Deren Voraussetzungen hat die hierfür darlegungsbelastete Beklagte jedoch nicht dargetan.

Gem. § 626 BGB kann außerordentlich gekündigt werden, wenn es wegen eines wichtigen Grundes einer der Vertragsparteien nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung ist  gegeben, wenn bei verständiger Würdigung der Kündigungsgrund von einem solchen Gewicht ist, dass nach einem objektiven Maßstab auch einem ruhig urteilenden Arbeitgeber die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheint.

Arbeitsrecht: Verhaltensbedingte Kündigung zukunftsbezogen - Prognose über das zukünftige Verhalten maßgeblich

Die verhaltensbedingte Kündigung ist im Arbeitsrecht zukunftsbezogen. Der Zweck der verhaltensbedingten Kündigung liegt darin, ein Dauerschuldverhältnis lösen zu können, wenn ein Festhalten an dem auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vertrag mit Blick auf die Zukunft unzumutbar geworden ist.

 Die Möglichkeit, aus verhaltensbedingten Gründen kündigen zu können, ist nicht geschaffen worden, um ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten zu bestrafen. Ein Sühne- oder Strafcharakter der verhaltensbedingten Kündigung ist strikt abzulehnen. Unvertretbar ist es auch, mit der Kündigung "ein Exempel statuieren" zu wollen oder allgemeine generalpräventive Zwecke zu verfolgen. Im gewaltengeteilten Rechtsstaat ist nicht der Arbeitgeber berufen, ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu sanktionieren. In Anbetracht des Gewaltmonopols des Staates ist der Ausspruch von Strafen den Strafgerichten vorbehalten.

Daraus folgt, dass kündigungsrechtlicher Handlungsbedarf überhaupt nur dann anzuerkennen ist, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht. Das arbeitgeberseitige Recht zur einseitigen jedenfalls des durch §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG geschützten Arbeitsverhältnisses durch Kündigung unterliegt deshalb dem sogenannten Prognoseprinzip .

Eine sichere Prognosegrundlage wird durch das vertragsrechtliche Instrument der Abmahnung geschaffen. Verstößt ein Arbeitnehmer trotz einschlägiger Abmahnung in einem vergleichbaren Fall gegen arbeitsvertragliche Pflichten, steht fest, dass Wiederholungsgefahr besteht. Das Kündigungsschutzrecht un Arbeitsrecht wird von dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht. Im BGB ist bereits seit Hundert Jahren normiert, dass bei Dauerschuldverhältnissen vor schwerwiegenden Reaktionen des Gläubigers Ankündigungen erforderlich sind.

Im Arbeitsrecht muss der Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung grundsätzlich gewarnt werden

Mit der Kündigung greift der Arbeitgeber in das Arbeitsverhältnis ein, das für den Arbeitnehmer regelmäßig die Grundlage für ihre Lebensgestaltung abgibt. Wegen dieses schwerwiegenden Eingriffs muss der Arbeitgeber in Beachtung des sozialen Schutzprinzips auf die Interessen des gekündigten Arbeitnehmers soweit wie möglich Rücksicht nehmen. Es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots. Der Arbeitgeber muss zunächst ihm zumutbare Ausweichmöglichkeiten ergreifen, bevor er gegen den Arbeitnehmer vorgeht. Falls er gegen ihn vorgeht, darf er immer nur von dem mildesten, ihm noch zumutbaren Mittel Gebrauch machen. Als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung kommt vor allem die Abmahnung in Betracht. Eine Beendigungskündigung darf nur als ultima ratio ausgesprochen werden.

Danach kommt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses stets nur als letztes Mittel des Arbeitgebers in Betracht, wenn schonendere Mittel zur Wahrung seiner Interessen und zum Schutze vor weiteren Vertragsstörungen entweder nicht ersichtlich, nicht zumutbar oder aber bereits ausgeschöpft sind.

Vor jeder Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist deshalb zu prüfen, ob den Interessen des Arbeitgebers durch eine Abmahnung ausreichend Rechnung getragen werden kann. Sie ist mit konstitutiv für den Kündigungsgrund. Fehlt die Abmahnung, ist die Kündigung unwirksam.

Abmahnung im Arbeitsrecht erforderlich, wenn Vertrauen wieder herstellbar

Eine Abmahnung kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer selbst die Störung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft beheben kann und die Abmahnung geeignet ist, die vertragsgerechte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu bewirken.

Da verlorenes Vertrauen wiedergewonnen werden kann, gilt dies grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich.Jedenfalls bei einer nur einmaligen Vertragsverletzung spricht eine Vermutung dafür, dass gestörtes Vertrauen wiederhergestellt werden kann.

Auch nach Auffassung des Gerichts ist das Abmahnungserfordernis nicht auf Kündigungsgründe zu beschränken, die sich als Störungen im Leistungsbereich auswirken. Ist von der Regel auszugehen, dass jedes willensbestimmte Verhalten eines Arbeitnehmers für die Zukunft abänderbar und deswegen abmahnungsfähig und -bedürftig ist, so kann grundsätzlich auch hier eine Abmahnung ihrer Funktion gerecht werden. Da es nicht von vornherein ausgeschlossen ist, verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen, ist der grundsätzliche Ausschluss einer Abmahnung bei Störungen im Vertrauensbereich verfehlt. Zu Recht wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass auch jede Schlechtleistung zu einer Vertrauensstörung führt, weil dadurch die Erwartung des Arbeitgebers enttäuscht wird, der Arbeitnehmer werde seine Arbeit vertragsgemäß erfüllen, so dass nur ein gradueller, nicht aber ein grundsätzlicher Unterschied zur Rückkehr zur Leistungsbereitschaft besteht. Zwar können schwerwiegende Ereignisse wie Körperverletzungen des Arbeitgebers oder auch schwerwiegende Straftaten zu seinen Lasten einen irreparablen Vertrauensverlust zur Folge haben, der dann auch ohne Wiederholungsgefahr eine Kündigung rechtfertigt, jedoch ist auch denkbar, dass durch ein schwerwiegendes Fehlverhalten kein irreparabler Vertrauensverlust eintritt. Es muss nicht in Streit gezogen werden, dass ein Vermögensdelikt zu Lasten des Arbeitgebers den Vertrauensbereich berührt und eine Störung des Vertrauens indiziert, jedoch ist damit nicht zugleich die unwiederbringliche Zerstörung des Vertrauens indiziert.

Abmahnung nur entbehrlich, wenn nicht erfolgsversprechend

Für die Frage, ob ausnahmsweise eine Abmahnung entbehrlich ist, kommt es auf die Steuerbarkeit des Verhaltens des Arbeitnehmers an, also darauf, ob durch Ausspruch einer Abmahnung vertragsverletzendes Verhalten in der Zukunft vermieden und die Wiederherstellung eines vertragskonformen Zustandes erreicht werden kann.

Die Abmahnung ist im Arbeitsrecht verzichtbar, wenn sie im Hinblick auf ihren Zweck nicht erfolgversprechend ist. Dies ist wegen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses vom Arbeitgeber substantiiert darzulegen. Bei verhaltensbedingten Störungen des Vertrauensverhältnisses muß der Arbeitgeber seinerseits dabei als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch substantiiert darlegen, welche Bemühungen er selbst unternommen hat, um dazu beizutragen, die für das Arbeitsverhältnis notwendige Vertrauensbasis wiederherzustellen.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass es problematisch ist, das arbeitgeberseitige Vertrauen in den Arbeitnehmer als Grundlage für eine Kündigung zu nehmen. Denn mit einer Anerkennung des arbeitgeberseitigen Vertrauens als Schutzgut der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen kann jede beliebige Abweichung des tatsächlichen Vertragsverlaufs von seinem Idealverlauf als "Vertragsstörung" etikettierbar werden. Damit droht das durch Prognoseprinzip und Erforderlichkeitsgrundsatz fein abgestufte System des geltenden Kündigungsschutzes unter der Hand um seine Wirkung gebracht zu werden. Das arbeitgeberseitige "Vertrauen" in den Arbeitnehmer als Grundlage von Kündbarkeiten erscheint nämlich schon im allgemeinen -- vorsichtig formuliert -- hochproblematisch, weil mit seiner Anerkennung als Schutzgut der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen im Ergebnis jede beliebige Abweichung des tatsächlichen Vertragsverlaufs von seinem Idealverlauf als "Vertrauensstörung" etikettierbar ist und damit das durch Prognoseprinzip und Erforderlichkeitsgrundsatz feinabgestufte System geltenden Kündigungsschutzes unter der Hand ums eine Wirkung gebracht werden könnte. Jede Übertretung arbeitsvertraglicher Handlungsschranken lässt sich zwanglos auch als Enttäuschung investierten Vertrauens auffassen. 

Steht fest, dass das Vertrauen gestört ist, muss geprüft werden, ob mit Hilfe einer Abmahnung die Grundlage dafür gelegt werden kann, dass in Zukunft vertragskonformes Verhalten zu erreichen ist oder ob das erforderliche Vertrauen unwiederbringlich verloren ist. Von der -- dann naturgemäß auch einzuräumenden -- Möglichkeit einer "Wiederherstellung des Vertrauens" geht mit Recht auch das Bundesarbeitsgericht aus. Die Störung des Vertrauens indiziert nicht seine unwiderbringliche Zerstörung.

Auch bei Störungen im Vertrauensbereich muss deshalb gelten: Ein Arbeitsverhältnis kann regelmäßig verhaltensbedingt nur dann beendet werden, wenn das als vertragswidrig empfundene Verhalten vorher konkret unter Hinweis auf Gefahren für den Bestand des Arbeitsverhältnisses gerügt wurde und es später zu einem einschlägigen Wiederholungsverhalten kommt.

Es wäre verfehlt, dieser Argumentation entgegenzuhalten, dass bei dieser Sichtweise der Eigentumsschutz nicht mehr ausreichend gewährleistet wäre und es in den Betrieben drunter und drüber gehen würde, weil jeder Arbeitnehmer -- zumindest ein Mal -- gefahrlos ein Vermögensdelikt begehen könnte. Eine solche Befürchtung wäre von mehreren Missverständnissen geprägt.

Zum Ersten ist es eine kriminologische Banalität und Binsenweisheit, dass Normen nicht primär deshalb beachtet werden, weil sie formal sanktioniert sind.

Zweitens beinhaltet die hier vertretene Auffassung nicht eine Billigung des Verhaltens der Arbeitsperson. Der Unrechtscharakter der Tat wird weiterhin betont, es wird nichts beschönigt oder verharmlost. Es geht allein um die Frage, ob arbeitsrechtlich für eine Kündigung die Abmahnung als milderes Mittel vorrangig ist. Bejaht man dies, entfällt zwar der Kündigungsgrund, aber nicht die Missbilligung des Verhaltens der Arbeitsperson.

Drittens bleiben der zivilrechtliche Schutz unberührt.

Interessenabwegung im Arbeitsrecht erforderlich - Abwägungskriterien

Schließlich ist eine umfassende Interessenabwägung bei einer Kündigungsschutzklage erforderlich, d.h. die Berücksichtigung aller vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalles. Zu den regelmäßig im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände werden im Arbeitsrecht Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers und die wirtschaftliche Lage des Unternehmens gezählt .

Für die Interessen des Arbeitgebers sind insbesondere das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragsverletzung des Arbeitnehmers sowie eine mögliche Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Betriebliche Interessen des Arbeitgebers werden u.a. verletzt, wenn der Betriebsablauf konkret gestört oder dem Produktionszweck geschadet wird.

Ob und mit welcher Folge personenbezogene Umstände des Arbeitnehmers vertragsbezogen und schutzwürdig sind, ist nach dem jeweiligen Kündigungssachverhalt und dem Zweck der Kündigung zu beurteilen. Weil sie im Arbeitsverhältnis selbst ihren Ursprung hat, ist die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers stets zu beachten, und zwar auch dann, wenn es um ein Vermögensdelikt zum Nachteil des Arbeitgebers geht. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit wirkt sich allerdings nicht stets bei Straftaten zu Gunsten des Arbeitnehmers aus, sondern i.d.R. nur dann, wenn es um ein relativ geringes Delikt geht und der Arbeitnehmer sich in der früheren Zeit vertragstreu verhalten hatte. Eine längere Betriebszugehörigkeit kann hingegen den Arbeitnehmer bei der Interessenabwägung belasten, wenn gerade die vermeintliche Betriebstreue den Arbeitgeber veranlasst hat, ihn weniger als andere Arbeitnehmer zu kontrollieren. Von diesem Vorbehalt abgesehen sind die bisherigen Leistungen und die Bewährung des Arbeitnehmers im Betrieb zu seinen Gunsten zu verwerten. Da das Alter eines Arbeitnehmers gewöhnlich keinen unmittelbaren Bezug zum Arbeitsvertrag hat, ist es i.d.R. nicht gerechtfertigt, allein das Lebensalter unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den Chancen auf dem Arbeitsmarkt als personenbedingtes Interesse des Arbeitnehmers anzuerkennen. Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers sind bei einer verhaltensbedingten Kündigung nicht generell, sondern nur dann von Gewicht, wenn es um ein Vermögensdelikt geht, bei dem eine durch die Unterhaltspflicht bedingte wirtschaftliche Notlage des Arbeitnehmers das Motiv für das Verhalten des Arbeitnehmers gewesen ist . Auch im Übrigen sind im Arbeitsrecht weder die allgemeine wirtschaftliche Lage des Unternehmens noch die von der persönlichen Lebensführung abhängige Vermögenslage des Arbeitnehmers vertragsbezogene schutzwürdige Kriterien für die Interessenabwägung.

Vertrags- und personenbezogene und deswegen wichtige Kriterien für die Abwägung sind bei einer verhaltensbedingten Kündigung der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums, der ein gering verschuldeter Irrtum gleichzustellen ist. Auch fahrlässige Pflichtverletzungen können schwerwiegend sein, wenn der Arbeitnehmer eine besondere Verantwortung trägt und das Verschulden zu hohem Schaden führt .

Es ist auch geboten, die fehlende oder bestehende Aussicht des Gekündigten zu berücksichtigen, in absehbarer Zeit eine andere Anstellung zu finden.

In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich:

Die Kündigung ist sowohl als außerordentliche wie auch als fristgemäße unwirksam, weil eine Abmahnung fehlt und weil es -- falls die Vorwürfe der Beklagten zutreffen sollten -- an einem Vertragsverstoß von dem erforderlichen objektiven Gewicht mangelt. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt zu der Feststellung, dass das Interesse der Klägerin an der Beibehaltung des Arbeitsplatzes stärker zu gewichten ist als das Interesse der Beklagten an der Trennung von der Klägerin.

Folgt man dem Vortrag der Beklagten, hätte die Klägerin eine geringwertige Sache gestohlen und damit arbeitsvertragliche Pflichten verletzt. Auf die strafrechtliche Bewertung ihres Verhaltens kommt es für seine kündigungsrechtliche Bedeutung nicht entscheidend an .

Aus dem Umstand, dass die Beklagte in Fällen dieser Art immer kündigt, ist nichts herzuleiten. Ein besonderer rechtlicher Maßstab ergibt sich daraus nicht. Selbstverständlich -- dies wird auch die Beklagte nicht anders sehen -- gelten die allgemeinen Gesetze auch für sie.

Vorliegend war zu fragen, ob mit dem Kündigungsausspruch als Prognosezeitpunkt in Zukunft eine Wiederholung des vertragsverletzenden Verhaltens oder zumindest eine Fortwirkung der Störung des Vertragsverhältnisses zu erwarten ist. Das vertragsrechtliche Instrument der Abmahnung dient im Arbeitsrecht dazu, eine sichere Prognosegrundlage zu schaffen. Abmahnerfordernis und Prognoseprinzip bedingen sich in diesem Sinn. Das Prognoseprinzip wiederum verweist auf den Zukunftsbezug der zu beurteilenden Vertragsstörung. Weil "zurückliegende Ereignisse als solche ... die Kündigung nicht zu rechtfertigen (vermögen), mögen sie an sich noch so schwerwiegend sein ...", entscheidet der Zukunftsbezug des gerügten Verhaltens die zu beurteilende Fortwirkung des kündigungsrelevanten Fehlverhaltens.

Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder zu erkennen, dass die Klägerin in Zukunft, nachdem ihr durch eine Abmahnung der Ernst der Situation vor Augen geführt worden wäre, erneut -- falls dies der Fall gewesen sein sollte -- ein Vermögensdelikt zu Lasten der Beklagten begehen sollte.

Die Beklagte hat nicht vortragen können, dass es vor dem in Rede stehenden Vorfall bereits ähnliche Verfehlungen der Klägerin und eine Abmahnung gegeben hätte. Die Klägerin handelte nicht etwa trotz einer Rüge und einer Warnung der Beklagten uneinsichtig und fortgesetzt.

Dass eine Wiederholungsgefahr bestehen würde, ist auf dieser Grundlage nicht erkennbar. Es wäre reine Spekulation, aus dem Umstand, dass die Klägerin einmal ein Eis stahl, zu schlussfolgern, dass sie sich auch in Zukunft so verhalten würde. Genauso gut könnte man die Ansicht vertreten, dass sie so etwas nie wieder tun werde, da sie die mit der Entdeckung ihrer Tat verbundene Schande und Aufregung nicht ein zweites Mal erleben möchte.

Es verbietet sich jedenfalls, alltagstheoretische Vorstellungen wie "Wer einmal lügt, dem glaubt man nimmer" unkritisch zu Grunde zu legen. Es kann als empirisch gesichert gelten, dass fast jeder Mensch -- auch Richter, auch Rechtsanwälte, auch Arbeitgeber, auch kirchliche Würdenträger, auch Staatsmänner -- in seinem Leben Normen übertritt. Angesichts dessen verbietet sich eine nuancenlose Rigidität, die in jedem Fall mit Beziehungsabbruch reagiert.

Die Schwierigkeit, im vorliegenden Fall einzuschätzen, ob die Klägerin möglicherweise ein zweites Mal ein Vermögensdelikt zu Lasten ihrer Arbeitgeberin begehen würde, resultiert gerade auch daraus, dass sie zuvor nicht abgemahnt worden ist. Die Wiederholungsgefahr gehört konstitutiv zum Kündigungsgrund. Ihn darzulegen ist Sache des Kündigenden.

Eine endgültige Zerstörung des für eine weitere Zusammenarbeit notwendigen Vertrauens darf nicht einfach spekulativ unterstellt werden. Ein solches Vorgehen liefe auf eine Sanktion früheren vertragsverletzenden Verhaltens hinaus. Der Sanktionsgedanke ist dem Vertragsrecht jedoch fremd . Einer vergangenen, schuldhaften Vertragsverletzung kommt nicht mehr und nicht weniger als eine Indizwirkung für die Gefahr zukünftiger Beeinträchtigungen des Arbeitsverhältnisses zu.

Da nach alledem eine sachgerechte Prognose die Möglichkeit zur weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit bei verständiger Bewertung des hier streitgegenständlichen Vorfalls nicht von vornherein ausschließt, kann auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht per se als gegen die Interessen der Beklagten gerichtet angesehen werden.

Eine Abmahnung war hier nicht ausnahmsweise überflüssig.

In Rede steht offenkundig ein steuerbares Verhalten der Klägerin. Die Klägerin hat keineswegs erklärt, dass sie es normal und in Ordnung fände, sich ohne Bezahlung ein Eis zu nehmen.

Die Klägerin ist zweifelsfrei objektiv in der Lage, ihr -- unterstelltes -- Fehlverhalten zu ändern.

Von einem im Sinne der Rechtsprechung des BAG besonders schwerwiegenden Verstoß kann nicht gesprochen werden.

Das Verhalten der Klägerin berührt den Vertrauensbereich. Es ist für das Gericht gänzlich nachvollziehbar, dass sich die Beklagte fragt, ob sie zukünftig ohne weiteres mit der Klägerin zusammenarbeiten kann oder ob nicht Maßnahmen wie ein Personalgespräch, eine Ermahnung oder eine Abmahnung angebracht sind, um das Vertragsverhältnis wieder auf eine ausreichende Vertrauensgrundlage zu stellen.

Dafür, dass das für das Arbeitsverhältnis erforderlichen Vertrauensverhältnis unwiderbringlich zerstört sein sollte, sind keine rational fassbaren Anhaltspunkte ersichtlich. Die Klägerin macht einen ruhigen und vernünftigen Eindruck. Warum sich die Klägerin an einen Hinweis der Beklagten, der klarstellt, dass sie sich auch im Hochsommer nicht einfach ein Eis nehmen kann, zukünftig nicht halten sollte, ist nicht ersichtlich. Es war deshalb davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall das beschädigte Vertrauen wieder herstellbar ist.

Letztlich hält die ausgesprochene Kündigung sowohl als außerordentliche wie auch als fristgemäße einer Interessenabwägung nicht stand.

Werden alle für die Gesamtbeurteilung im Arbeitsrecht wesentlichen Umstände berücksichtigt, so sprechen bei der erforderlichen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall die überwiegenden Gesichtspunkte für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.

Wie dargestellt ist auch bei auf Straftaten gestützten Kündigungen stets eine Interessenabwägung durchzuführen.

Auf Grund einer Interessenabwägung muss auch bei Diebstahl einer Sache von geringem Wert selbst eine ordentliche Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sein. Im Gegensatz zu mancher Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist die Interessenabwägung nicht nur als Lippenbekenntnis anzuführen, sondern real vorzunehmen. Im deutschen Kündigungsschutzrecht gibt es -- abgesehen vom Seemannsgesetz -- keine absoluten Kündigungsgründe.

Im vorliegenden Fall finden bei sachgerechtem Verständnis ihrer Belange die Interessen der Beklagten nach Auffassung des Gerichts auch bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in angemessener Weise Berücksichtigung.

Für eine Kündigung sprach, dass ihre -- hier unterstellte -- Straftat mit ihrer vertraglich geschuldeten Tätigkeit zusammenhängt. Es gehörte zu ihren Aufgaben, Eis zu verkaufen. Sie hat damit -- unterstellt -- eine sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Obhutspflicht verletzt und das Delikt nicht nur außerhalb ihres konkreten Aufgabenbereichs und bei Gelegenheit der Arbeitsleistung verübt.

Gegen die Klägerin spräche ferner, dass sie vorsätzlich gehandelt hätte. Die Klägerin macht ihrerseits nicht geltend, dass sie lediglich vergessen hätte, das Eis zu bezahlen.

Zu Gunsten der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass ihr -- unterstellt -- vertragswidriges Verhalten ein materiell geringfügiger Einzelfall ist. Die Beklagte behauptet nicht, dass die Klägerin zum wiederholten Mal Lebensmittel gestohlen hätte. Es handelt sich also -- wenn überhaupt -- um eine Ersttat.

Der finanziellen Schaden der Beklagten ist, wenn man sich an dem Verkaufspreis des Eises von € 1,-- orientiert, gering.

Der Beklagten steht der Weg, Schadensersatz zu verlangen, offen. Dies würde -- wie leider so häufig -- auch nicht nur auf dem Papier stehen, sondern wäre wirtschaftlich überaus einfach realisierbar.

Zu einer Störung des Betriebsablaufs ist es nicht gekommen.

Unzutreffend erscheint, dass die Beklagte auf Grund ihrer Betriebsstruktur beim Servicepersonal in besonderer Weise auf Loyalität und Vertrauen angewiesen wäre. Wie der vorliegende Fall zeigt, ist eine Kontrolle lückenlos gewährleistet.

Nicht zu Ungunsten der Klägerin spricht ferner die Art und Weise, wie sie -- unterstellt -- das Eis stahl. Sie handelte nicht bandenmäßig, im Zusammenwirken mit anderen, sondern allein. Der Klägerin ist mit anderen Worten nicht vorzuwerfen, dass sie als Mitglied einer kriminellen Vereinigung aufgetreten wäre, die die Beklagte systematisch bestohlen hätte.

Der Klägerin kann auch nicht vorgeworfen werden, dass sie -- was auf eine besondere kriminelle Energie schließen lassen könnte -- ihr Vorgehen besonders vertuscht hätte. Ihr Vorgehen war für die Beklagten nach deren Behauptung auf dem Videofilm einwandfrei erkennbar.

Zu Gunsten der Klägerin spricht auch der Zweck ihrer Tat. Die Klägerin hat das Eis nicht gestohlen, um es zu Geld zu machen. Sie hat das Eis an einem warmen Sommertag selber gegessen.

Nach Auffassung des Gerichts zeigt sich im vorliegenden Fall, dass die erstmalige Begehung einer Bagatelltat vernünftigerweise nicht automatisch mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantwortet werden sollte. Der Ausspruch einer Kündigung, auch als ordentliche, stellt sich hier als vollkommen unverhältnismäßig dar. Ein ruhiger und besonnener Arbeitgeber würde mit der Arbeitnehmerin sprechen, sie nicht aber unter Verletzung des ultima-ratio-Prinzips entlassen.

Wenn man wie das Bundesarbeitsgericht der Auffassung ist, dass auch Bagatellstraftaten geeignet sind, als "Kündigungsgrund an sich" in Betracht zu kommen (BAG AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung), so darf man nicht den Fehler machen, zu vergessen, dass im konkreten Einzelfall zu prüfen ist, ob sich eine deswegen ausgesprochene Kündigung als verhältnismäßig darstellen würde. Die Vertragsverletzung muss immer ein gewisses Gewicht haben, um im Ergebnis als Kündigungsgrund durchschlagen zu können. Dieses Gewicht kann sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls oder durch die Häufigkeit des Vertragsverstoßes ergeben.

Von Beidem kann hier nicht gesprochen werden. Im vorliegenden Fall fehlt es an der erforderlichen Gewichtigkeit der Vertragsverletzung. Bereits die Höhe des Schadens, die nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu berücksichtigen ist, spricht gegen die ausgesprochenen Kündigungen. Ein ruhiger und besonnener Arbeitgeber, der verständig und gerecht abwägt, kommt eher nicht auf die Idee, wegen eines gestohlenen Eises zu kündigen.

Im übrigen: Nachdem die Beklagte den Videofilm ausgewertet hatte, hätte sie die Klägerin ansprechen und klären können, ob das Eis bezahlt worden ist bzw. warum sie es nicht bezahlte. Das bereits auf antike Vorbilder zurückgehende Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das auch das Arbeitsrecht beherrscht, verlangt vom Arbeitgeber, sich um das nach Lage der Dinge schonendste geeignete Mittel zu bemühen, entstandene Konflikte im Arbeitsverhältnis zu bereinigen. Namentlich die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist nur das letzte Mittel und nicht erste Hilfe, auf Probleme im Arbeitsverhältnis bzw. im Arbeitsrecht zu reagieren. Zu dieser prozeduralen Dimension des Prinzips der Verhältnismäßigkeit gehört es unter anderem, das Gespräch mit dem betroffenen Arbeitnehmer als Mittel der Sachaufklärung zu suchen, ehe über arbeitsrechtliche Weiterungen entschieden wird.

Es wäre schließlich nicht einzusehen, weshalb die strafrechtliche Geringfügigkeitsgrenze gem. §§ 248 a, 265 a Abs. 2 StGB sich nicht auch arbeitsrechtlich auswirken soll. Die Staatsanwaltschaft würde in einem solchen Fall nicht gemäß § 153 a StPO, sondern nach § 153 StPO aus der Erwägung einstellen, dass ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht besteht. Wie bereits das Arbeitsgericht Reutlingen ausführte, "kann die Rechtsordnung nicht in strafrechtlicher Hinsicht einen Vorfall wie hier als geringfügige Bagatelle im praktischen Ergebnis unbeachtet lassen, andererseits aber, um es in der zutreffenden Alltagssprache auszudrücken, aus einer Mücke einen Elefanten machen ...". Dies mag ausgesprochen provokant formuliert sein, trifft aber den Kern der Sache.

Der Klage konnte nach allem der Erfolg nicht versagt werden.

Rechtsanwalt Arbeitsrecht

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