Arbeitsrecht: Urlaubsabgeltung bei langjähriger Erkrankung des Beschäftigten

Ein Beschäftigeter kann von seinem Arbeitgber - einem Bundesland - eine finanzielle Abgeltung des gesetzlichen sowie des Schwerbehindertenurlaubs für den Zeitraum 1998 bis einschließlich 28.02.2010, mithin im Umfang von insgesamt 304 Tagen, in Höhe von 32.372,96 € brutto nach § 7 Abs.4 BUrlG i.V.m. dem Arbeitsvertrag verlangen. Nach dieser Vorschrift ist der Urlaub abzugelten, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. So entschied das Arbeitsgericht Herne am 01.02.2012 (Aktenzeichen: 1 Ca 1751/10).

Worüber hat das Arbeitsgericht entschieden?

 

Die Parteien streiten über die finanzielle Abgeltung von Urlaubansprüchen für den Zeitraum 1998 bis einschließlich dem 28.02.2010. Mit schriftlichem Arbeitsvertrag wurde die am 14.11.1951 geborene Klägerin im Jahre 1969 als Angestellte bei dem Amtsgericht Recklinghausen auf unbestimmte Zeit eingestellt. Am 11.11.1996 erkrankte die Klägerin und nahm ihren Dienst seitdem nicht mehr auf. Ihr Entgelt wurde nach Ablauf der Krankenbezugsfristen mit Ablauf des 11.05.1997 eingestellt. Seit ihrer Verrentung wegen Erwerbsunfähigkeit ist die Klägerin schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.

Mit Schreiben der Direktorin des Amtsgerichts Recklinghausen vom 09.12.2009  wurde die Klägerin nach Kenntnisnahme von der Zuerkennung der Erwerbsminderungsrente auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hingewiesen und ihr außerdem mitgeteilt, dass es mit Ablauf des dem Rentenbeginn (01.03.2010) vorangehenden Tages ende. Entsprechend wurde sie beim Landesamt für Besoldung und Versorgung abgemeldet.

Hiernach machte die ehemalige Beschäftigte zunächst außergerichtlich einen Urlaubsanspruch für 420 Tage zuzüglich eines anteilige Urlaubs für das Jahr 2010 in Höhe von 6 Tagen geltend. Nach der Ablehnung dieser Forderung verfolgte die Beschäftigte Ihre Ansprüche gerichtlich weiter. Sie trägt vor, dass ihr gesetzlicher Urlaubsanspruch entsprechend der Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH vom 20.01.2009 und der sich daran anschließenden nationalen Rechtsprechung bedingt durch ihre andauernde Arbeitsunfähigkeit nicht untergegangen sei, aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in natura gewährt werden könne und daher abzugelten sei. Der Arbeitnehmer verliere seinen Urlaubsanspruch auch nicht dadurch, dass er infolge einer Erkrankung nur eine geringe oder gar keine Arbeitsleistung im Urlaubsjahr erbracht habe. Dementsprechend hänge das Bestehen eines Urlaubsanspruches weder von einem konkreten noch von einem abstrakten Erholungsbedürfnis des Arbeitnehmers ab.

Der Beklagte wendet hiergegen ein: Die durch die Klage begehrte Urlaubsabgeltung sei nicht gerechtfertigt. Die im Bundesurlaubsgesetz enthaltene Regelungslücke, welches nur von bestehenden und nicht bestehenden nicht aber von ruhenden Arbeitsverhältnissen spreche, gelte es, im Rahmen der Auslegung zu füllen. Die Urlaubsabgeltung als Surrogat für den Erholungsurlaub diene zudem dem Zweck, dem Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Zeit bezahlter Erholung zu ermöglichen, bevor er in ein anderes Arbeitsverhältnis trete. Ein solcher Fall sei hier nicht gegeben. Die Klägerin beziehe weiterhin eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Sie müsse sich auch nicht von geleisteter Arbeit erholen, die sie letztmalig 1996 verrichtet habe.

Wie hat das Gericht entschieden?


Das Gericht entschied, dass die Klägerin von dem beklagten Land eine finanzielle Abgeltung des gesetzlichen sowie des Schwerbehindertenurlaubs für den Zeitraum 1998 bis einschließlich 28.02.2010, mithin im Umfang von insgesamt 304 Tagen, in Höhe von 32.372,96 € brutto nach § 7 Abs.4 BUrlG i.V.m. dem Arbeitsvertrag verlangen kann.

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 20.01.2009 entschieden, dass Art.7 Abs.1 der Richtlinie 2003/88 dahingehend auszulegen ist, dass es einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraumes und/oder Übertragungszeitraumes oder eines Teiles davon krankgeschrieben war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte.

Im Hinblick auf diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 24.03.2009 seine ständige Rechtsprechung zur Befristung des Urlaubsanspruchs im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aufgegeben und im Anschluss an den Europäischen Gerichtshof entschieden, dass der Urlaubsanspruch im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auf das Kalenderjahr bzw. den Übertragungszeitraum nicht befristet ist, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte. Gleichzeitig hat es auch entschieden, dass jedenfalls eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung durch eine teleologische Reduktion der zeitlichen Grenzen des § 7 Abs. 3 S.1, 3 und 4 in Fällen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des jeweiligen Übertragungszeitraumes geboten und vorzunehmen ist mit der Folge, dass dem Beschäftigten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs auch im Falle der fortbestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zusteht. Hierzu hat es unter Anderem ausgeführt, dass ausgehend von dem Wortlaut des § 7 Abs.4 BUrlG die Abgeltung nicht davon abhängig gemacht sei, dass der Urlaubsanspruch erfüllbar sei. Eine andere Auslegung würde zudem den Zielen von Art.7 der Richtlinie 2003/88 widersprechen, welche gerade darin bestünden, dass sie einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegenstehen, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraumes und/oder Übertragungszeitraumes oder eines Teiles davon krankgeschrieben gewesen sei und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht habe ausüben können.